Dienstag, 14. Juni 2016

Selbstregulierter Medienkonsum beim Kleinkind - ein Erfahrungsbericht


Zu diesem Artikel wurde ich einerseits durch Gerald Hüthers Artikel zum Thema Fernseh- und Computerkonsum angeregt, andererseits durch die Antwort darauf auf dem Blog „Die Physik von Beziehungen“. Ich möchte auf diese Artikel zunächst mit meinem persönlichen Erfahrungsbericht reagieren.


Vom regulierten Kind …

In Sachen Fernsehen wurde versucht mich als Kind stark zu regulieren. Ich durfte zwar fernsehen, aber nur eine bestimmte Zeit bzw. eine begrenzte Anzahl von Serien. Doch das bewirkte von Anfang an wenig. Ich liebte Geschichten, ich liebte Serien. Also schaute ich heimlich ziemlich viel Fernsehen – immer wenn die Erwachsenen bei der Arbeit oder anderweitig außer Haus waren, oder auch bei meiner Oma, die mich sehr viel schauen ließ. Später schaute ich bei und mit Freund*innen fern, wenn diese einen eigenen Fernseher hatten. Dafür, dass ich reguliert wurde, habe ich ziemlich viel gesehen, aber größtenteils heimlich. Das war keine gute Basis für die Eltern-Kind-Beziehung. Ständig habe ich lügen müssen, um nicht erwischt zu werden, um nicht bestraft zu werden. Und ich konnte wenig reden über das, was ich gesehen hatte. Konnte meine Begeisterung wenig teilen. Konnte wenig Fragen stellen. So blieb vieles unbeantwortet.

In der dritten Klasse kam auch meine Begeisterung für Bücher dazu, als mir der Bücherbus gezeigt wurde und ich dort selbstständig Bücher ausleihen konnte. Für Jahre war ich fast jeden Mittwoch beim Bücherbus und habe jeweils etwa 10-20 Bücher abgegeben und wieder 10-20 neue ausgeliehen, zusätzlich noch jede Menge Hörkassetten und CDs. Ich liebte Bücher ebenso wie meine Lieblingsserien und -sendungen. Ich denke, dass ich meine Ausdrucksfähigkeit (in dieser Sprache, die nicht meine Muttersprache ist) und Kreativität zu einem großen Teil sowohl Büchern als auch Fernsehen zu verdanken habe.

Ingesamt habe ich viel Bildung den Medien zu verdanken. Sowohl den „Was ist Was“-Büchern als auch Wissensendungen. Ich wurde durch viele Serien in meinen Werten bestärkt. Sailor Moons Kampf für Liebe und Gerechtigkeit und Buffys Kampf gegen die Dämonen des Erwachsenwerdens haben mich zum Beispiel unterstützt in meinen schwierigen Phasen, wenn ich gemobbt wurde, Außenseiterin war oder Streit mit den Erwachsenen hatte.

Letztlich habe ich die Selbstregulation nachholen können, nachdem ich ausgezog. Wenn ich gerade nicht arbeiten war oder mich mit Freund*innen traf, war ich Zuhause und schaute sehr viel Fernsehen und Videos im Internet. Die Fernseher-Phase dauerte nicht lange an. Nach der ersten Befriedigung alles angucken zu dürfen, stellte ich fest, dass ich zu vieles zu langweilig fand oder ich vielen nzlich widersprach. Und auch bezüglich dem Konsum via Internet normalisierte sich mein Umgang damit allmählich. 
 

zur nicht regulierenden Mutter

All diese Gedanken und Erfahrungen mit meinem Reguliert-Werden haben dazu geführt, dass ich schon lange so wenig wie nötig regulieren wollte. Ich denke, dass ich viel weniger Schwierigkeiten mit Selbstregulation gehabt hätte, wenn ich schon viel früher die Möglichkeit gehabt hätte, mich darin üben zu können. Die Unerzogen-Gemeinschaft im Internet hat mich schließlich darin bestärkt, dass bezüglich der Dauer des Medienkonsums schon sehr früh keinerlei Regulation nötig ist.

Im ersten Lebensjahr meines Kindes habe ich noch viel Wert darauf gelegt, dass es keinen Bildschirmkonsum gibt – ganz einfach, weil verschiedenen Berichten nach das Gehirn im ersten Lebensjahr die sich schnell bewegenden Bilder noch gar nicht verarbeiten kann. Und da wir bewusst keinen Fernseher haben, ist es ohnehin nicht gegeben, dass der Fernseher „so nebenher“ läuft. Das ist ein mir sehr wichtiger Punkt.

Und so ohne Medienkonsum hätte es theoretisch wohl noch lange gehen können. Doch da ich nichts generell gegen Videos und Apps habe, habe ich mir sie schon recht früh zu nutze gemacht. Es fing damit an, dass wir Videos von unserem Kind machten und er dies irgendwann auch verstand und sie sehen wollte. Oder ich zeigte ihm kurze Videos, um ihm die Nägel ohne Gewalt schneiden zu können. Eine Weile hat er auch nur diese ein, zwei Minuten lang schauen wollen und nichts dagegen gehabt, dass ich danach das Smartphone wieder weglegte.

Irgendwann wurde sein Interesse für Videos und das Smartphone an sich größer. Da er sich schon früh für Musik interessierte, zeigte ich ihm dann z. B. Videos von Menschen, die auf irgendeine Art und Weise Musik machten. Zudem installierte ich Apps für Kleinkinder, bei denen er Schlagzeug oder Klavier oder Gitarre spielen konnte – zusätzlich zu Keyboard, Gitarren und Perkussionsinstrumenten, die es auch so zu Hause gibt. Für mich sind Videos schlichtweg eine Ressource von vielen, mit denen wir ihn in seiner Begeisterung und seinem Wissensdurst unterstützen.

Er begann schon früh damit, das nachzuahmen, was er in Videos sah, und ist anscheinend wie ich ein visueller Lerner. Z. B. schaute ich mit ihm mal ein Video an, in dem das Kind einer befreundeten Familie einen Purzelbaum machte. Direkt danach machte er nach wenigen Anläufen selbst einen Purzelbaum – ich glaube, er war da noch nicht einmal eineinhalb Jahre alt.

Vor allem aber ahmte er Musiker*innen nach. Er probierte an den Instrumenten zu Hause das aus, was er in den Videos sah. Er nimmt seit bald zwei Jahren mehrmals die Woche verschiedene längliche Objekte in die Hand, die dann ein Mikrofon darstellen, und singt hinein. Durch die Videos lernte er schon früh, dass Tanz auch oft zur Musik dazugehört, und begann zwischen zwei Gesangsparts von ihm einen Dancebreak einzulegen.

Wir unterstützten ihn in seiner Leidenschaft und zeigten ihm ganz unterschiedliche Musikrichtungen, Instrumente, Tanz- und Gesangsstile. Dinge, die wir in dieser Vielfalt ihm noch nicht hätten live zeigen können und die er teilweise auch nie live sehen wird, z. B. die Live-Performance eines Elvis Presley oder eines John Lennon. Auch seltenere Instrumente und deren Klang und Spielart sind ohne Videos schwer zu finden.

Doch er wollte zunehmend mehr Videos anschauen. Auch Zeichentrickserien wurden interessant. Wir achteten von Anfang an sehr auf die Auswahl, die wir ihm anboten. Dahingehend werden wir also noch lange regulierend einwirken, da so vieles in den Medien Dinge darstellt, die er noch gar nicht in einen Kontext setzen kann, Videos, die noch zu schnell und unübersichtlich für sein Gehirn sind oder die einen Inhalt haben, den wir ihm nicht zeigen wollen, weil wir ihn nicht normalisieren wollen – in der Regel irgendwelche Formen von subtiler oder offensichtlicher Gewalt. Ich fand es erschreckend durch mein Kind festzustellen, wie viele Kinderserien, die teilweise auch schon für Kleinkinder geeignet sein sollen, Gewalt enthalten oder viel Angst einjagen können.

Unser Vertrauen in das Konzept der Selbstregulation – zumindest was die Menge angeht – wurde zunehmend herausgefordert. Ich hatte schon zuvor in Unerzogen-Foren gelesen, dass es am Anfang normal war, dass der Konsum extrem hoch sein konnte, dies aber nur eine bestimmte Zeit lang wäre. Je länger Kinder zuvor reguliert wurden, desto länger dauerte diese Phase des hohen Konsums in der Regel. Somit hoffte ich, dass diese Phase nicht lange dauern würde.

Einen Monat lang hat sie gedauert. Einen Monat lang schaute er mehrere Stunden täglich seine Lieblingsvideos in Dauerschleife. Ich machte mir manchmal Sorgen und bot immer wieder Alternativen an. Doch mein Glauben an die Selbstregulierungsfähigkeiten war größer als meine Zweifel. Gerade gegen Ende der Phase wuchsen meine Sorgen, doch dann war es einfach vorbei. Von einem Tag auf den anderen wollte er nicht mehr so lange vor dem Bildschirm sitzen. Seit nun eineinhalb Jahren darf er so lange Videos schauen, wie er will (es sei denn, äußere Umstände ermöglichen dies nicht), aber konsumiert auf einem Level, das ich für gesund halte. Manchmal tagelang gar nicht. Manchmal gibt es Phasen, in denen er täglich, aber nur etwa zwanzig Minuten lang gucken möchte. Manchmal will er auch wieder mehr gucken, und dann wieder wochenlang fast gar nicht. 
 

Es fühlt sich gut an, ihm vertrauen zu können. Es fühlt sich gut an, mir keinen Kopf machen und nichts kontrollieren zu müssen. Wenn ich zurückdenke an den Kampf, den ich als Kind mit den Erwachsenen allein wegen Medienkonsums hatte, bin ich sehr froh, mir all dies sparen zu können. Ich bin sehr froh darüber, dass unser Verhältnis nicht deswegen leiden wird. Und ich freue mich über dieses Medienspektrum, das eine tolle Ressource darstellt, die noch lange eine wichtige Rolle in unserem freilernenden Alltag spielen wird. Wenn wir zum Beispiel über ein Tier reden, kann ich ihm dieses Tier in Videos zeigen, ohne Sorge, dass er dann stundenlang vor dem Bildschirm hängen bleiben würde. Denn Videos als Ressource sind in diesem Haushalt so normal wie der Blick ins Buch.

Wie schon oben erwähnt, regulieren wir nicht, was die Dauer angeht, aber durchaus in anderen Bereichen, die zum Konsum dazugehören, und achten insgesamt darauf, dass Medienkonsum aus Abhängigkeitsgründen keine Gefahr darstellt. Wie wir das machen, erzähle ich euch im nächsten Beitrag.


Um rechtzeitig davon zu erfahren, könnt ihr bei meiner Seite auf facebook rechts auf „Gefällt mir“ und dann auf „Benachrichtigungen ein“ klicken. In den nächsten Tagen werde ich auch einen Newsletter einrichten, in den ihr euch dann eintragen könnt. Mehr Infos wird es dann im Blog geben.  

Was sind eure Erfahrungen mit der Selbstregulation bzgl. der Dauer des Medienkonsums? Teilt sie mit uns in der Kommentarspalte. :)

Dienstag, 3. Februar 2015

Windelfrei/Ausscheidungskommunikation: Tipps für einen gelungenen Start


Viele wissen nicht so richtig, wie sie mit Windelfrei bzw. Ausscheidungskommunikation (AK) beginnen sollen, oder sind an einem Punkt angekommen, an dem es nicht wie gewünscht funktioniert. Deswegen habe ich für euch diese Tipps zusammengestellt und hoffe, dass etwas für euch dabei ist. :) Mein wichtigster Tipp zuerst:

Ruhe und Entspannung


Ich habe mich am Anfang durch manche Erfahrungsberichte und Ratgeber unter Druck gesetzt gefühlt, und ich habe den Eindruck, dass es vielen so geht. Dieser Druck, es unbedingt mit nur sehr seltenen Unfällen von Anfang an schaffen zu müssen, steht der entspannten Ausscheidungskommunikation entgegen und bringt das ganze fast schon eher in Richtung Sauberkeitserziehung. Es muss nicht von Anfang an klappen, es ist nicht schlimm, häufig/immer (Stoff-)Windeln zu verwenden, es wird immer wieder Situationen geben, in denen plötzlich nichts mehr geht - und das alles ist total okay. Der windelfreie Weg ist kein geradliniger, sondern sollte Eltern und Kind mehr Entspannung geben, nicht für Stress sorgen. Es wird dennoch auch häufig schwierige Situationen geben, wenn z. B. ein Kind keine Windel tragen möchte und darauf mit großer Unruhe und Weinen reagiert, es aber gleichzeitig mit dem Abhalten auch noch nicht/nicht mehr so gut funktioniert. Auch in diesen Situationen hilft es, einen kühlen Kopf zu bewahren und einen Weg zu suchen, der allen Beteiligten weitestgehend zusagt. Ebenso kann der Austausch mit anderen Eltern helfen, die realistisch über ihre Erfahrungen sprechen. :)

Körperkontakt


Der wohl wichtigste Aspekt beim Thema Windelfrei/AK ist der intensive Kontakt zwischen Eltern und Baby. So viel wie möglich kuscheln, stillen, in Tragetuch oder einer guten Tragehilfe tragen und nebeneinander im Familienbett oder Beistellbett schlafen helfen, eine intensive Bindung herzustellen und die Kommunikation zwischen Eltern, eventuellen älteren Geschwistern und dem Neugeborenen zu erleichtern. Auch andere Bezugspersonen/Familienangehörige können mit einbezogen werden, um den Eltern Arbeit abzunehmen. Nachdem meine Mutter z. B. zunächst skeptisch war, gab es dann doch Situationen, in denen sie ein Gefühl für die Ausscheidungsbedürfnisse meines Sohnes hatte. :)

Windel-Back-Up


Überhosen, links: Milovia
rechts: Bestbottom, Rumparooz, Imse Vimse

Windelfrei/AK wird hauptsächlich in wärmeren Gegenden betrieben, in denen die Kinder leicht bekleidet oder nackt einen großen Teil des Tages draußen verbringen. Entsprechend entspannt kann damit umgegangen werden, wenn ein Baby sich dann doch einmal unvermittelt erleichert. In kühleren Breitengreiden kann ein Windel-Back-Up helfen, ebenso entspannt zu bleiben. Wenn es schon besser läuft mit der AK und nur noch wenig daneben geht oder wenn man sehr häufig die Windeln wechseln möchte, um eine trockene Atmosphäre beizubehalten, eignen sich Überhosen mit Einlagen und Hybridwindeln sehr gut. Bei beiden Systemen lässt sich die Einlage wechseln, ohne dabei die gesamte Windel wechseln zu müssen. Auch Trainer-Höschen, die nur ein kleines Geschäft aufhalten können und wie Unterhosen aussehen, sind sehr praktisch, gerade wenn Kinder keine Windel mehr tragen möchten. Im Sommer oder nachts kann ein Windelgürtel mit Mullwindel passend sein. (Bild weiter unten.)

Hybridwindeln, links: Kokobaby
rechts: G-Diaper und Gladbaby

Vorbereitungen in der Wohnung


Eine entsprechend vorbereitete Umgebung hilft, mit Unfällen entspannt umgehen zu können:

  • Matratzen können mit wasserfesten, aber atmungsaktiven Unterlagen geschützt werden. (Siehe Punkt "Schlafen")
  • Töpfchen, Mullwindeln und Handtücher an verschiedenen Stellen in der Wohnung zu haben ist praktisch.
  • Sitz- und Liegeflächen des Kindes können mit wasserfesten Unterlagen geschützt werden. Eine wasserfeste Unterlage aus PU mit Handtuch darauf eignet sich hierfür (siehe Bild), oder aber eine selbstgenähte oder gekaufte Unterlage, die aus einer PU-Schicht und einer saugenden Schicht besteht.
  • Für den Autositz oder Kinderwagen gibt es kleinere Unterlagen.



Töpfchen und Co.


Theoretisch eignet sich jede nicht allzu große Rührschüssel als Töpfchen. Ich persönlich bevorzuge aber ganz klar das Asiatöpfchen, weil das Baby auf dem breiten Rand gemütlicher "sitzen" kann. Und gerade beim Abhalten von Jungs während des Stillens ist das Asiatöpfchen erste Wahl. Damit der Strahl auch drinnen landet, muss man das Töpfchen stark angeschrägt halten, was bei üblichen Schüsseln dazu führen kann, dass sie kippen und der Urin herausläuft. Durch den breiten Rand kann das Asiatöpfchen nicht parallel zur Matratze liegen, sondern liegt immer in einem Winkel, sodass der Urin besser drinnen bleiben kann. Auch die geringe Größe macht Abhalten beim Stillen deutlich bequemer. Sollte das alles dennoch erst einmal nicht so gut klappen und häufig etwas herauslaufen, gäbe es noch die Möglichkeit, ein Mulltuch in das Töpfchen hineinzulegen, auf das dann uriniert wird.

Auf diesem Foto sieht man, wie stark gekippt
ein Töpfchen bei Jungs gehalten werden sollte.

Weitere Tipps:

  • Viele bohren ein kleines Loch in den Rand des Asiatöpfchens, um es dann an einer Schnur am Rucksack für unterwegs mitnehmen zu können.
  • Es gibt für kleine Töpfchen auch entsprechende Bezüge (z. B. hier), damit das Baby nicht auf dem kühlen Rand sitzen muss.
  • AK geht aber auch ganz ohne Töpfchen. Über dem Waschbecken, der Bade-/Duschwanne oder auch dem WC lässt sich ebenso abhalten. Ich persönlich kann auch Plastikwannen, gerade für Jungs, empfehlen. Manche lassen ihre Babies auch auf ein Tuch oder in eine Mullwindel ihr Geschäft verrichten.
  • Ab Sitzalter können dann auch klassische Töpfchen, am besten transparent oder halbtransparent, und Toilettensitz-Verkleinerungen genutzt werden.


Abhaltesignale


Jedes Baby hat ganz individuelle Signale, die sich mit dem Alter ändern oder auch phasenweise komplett ausbleiben. 

Hier gibt es zwei Listen mit häufig vorkommenden Abhaltesignalen:


Abhaltepositionen


Es gibt viele Positionen, in denen man abhalten kann, und es ist nicht unüblich, dass ein Baby nur ein oder zwei spezielle Position mag und mit der Zeit seine favorisierten Abhaltepositionen ändert. 

Hier zwei Links, in denen ihr euch das einmal anschauen könnt:


Schlafen


Es gibt einige Eltern, die sich lediglich tagsüber in Ausscheidungskommunikation üben, andere lediglich nachts. Entsprechend kann da jede Familie für sich schauen, womit Eltern und Kind am besten zurechtkommen. 

Babies erleichtern sich nicht im Tiefschlaf, sondern nur in leichteren Schlafphasen oder wenn sie aufwachen. In diesen leichteren Schlafphasen werden sie meist unruhig, bevor sie ihr Geschäft verrichten, und Eltern können sich eine Sensibilität für diese speziellen Unruhe-Signale angewöhnen. Das braucht eine Weile, und oft wird sich das Kind erleichtern, kurz bevor man wach genug wurde. Aber zum einen kann man als Elternteil lernen, mit der Gewöhnung früher wach zu werden, zum anderen können auch Babies mit der Zeit lernen, den Urin solange zu halten, bis sie abgehalten werden. Vorausgesetzt natürlich, sie wissen, dass sie nach entsprechenden Signalen in den meisten Fällen relativ zügig abgehalten werden. Das Ganze funktioniert aber besser, wenn die Eltern nicht so übermüdet sind, dass sie erst beim lauteren Jammern oder gar Weinen wach werden. Gerade in den ersten Wochen und Monaten mit einem Neugeborenen wird das wahrscheinlich häufig der Fall sein.

Am bequemsten ist für manche nachts das Abhalten beim Stillen, da viele Babies sich beim Stillen erleichtern und auch gerne im engen Kontakt mit der Mutter bleiben. Meist wird es ausreichen, sich lediglich für den Part des Stillens aufzusetzen, bei dem das Baby uriniert. Bei vielen Kindern ist das ganz am Anfang, manche lösen sich auch erst später oder gar gegen Ende des Stillens. Entsprechende Signale können deutlich machen, wann es Zeit ist, abzuhalten. Es ist aber ebenso möglich, im Liegen dem Baby ein Mulltuch in den Schritt zu halten, in das es dann urinieren kann. 

Es gibt jedoch auch Kinder, die so nah am Körper der Mutter oder im Bett ihr Geschäft nicht verrichten wollen, sondern lieber vor, nach dem Stillen oder auch in einer Pause während des Stillens über einem geeigneten Gefäß gehalten werden möchten. Und es gibt Babies, die nachts gar nicht abgehalten werden wollen. All diese verschiedenen Präferenzen können sich auch im Lauf der Zeit ändern. Somit gilt: Locker bleiben, verschiedene Varianten ausprobieren und schauen, was jeweils am besten zur eigenen Familie passt.

Wenn ein Baby ohne Windel schläft, muss das Familienbett/Beistellbett entsprechend vorbereitet sein. Wasserdichte Unterlagen müssen auch atmungsaktiv sein, da sie ansonsten die Wärme- und Luftzirkulation beeinträchtigen und somit die Wahrscheinlichkeit des plötzlichen Kindstod erhöhen können. Ein Windelgürtel mit Mullwindel kann, falls ein Baby keine Windel tragen möchte und darauf mit Unruhe reagiert, eine Alternative zu komplett windelfreiem Schlafen sein, allerdings ist dann darauf zu achten, dass der Schritt nicht frei an der Luft ist, da ansonsten der Urin die Blase auskühlen kann. 

Windelgürtel mit Mullwindel

Schläft ein Baby im Schlafsack, sollte man diesen unten öffnen können, damit Wickeln und Abhalten weniger aufwendig sind. Da viele Babies, vor allem, wenn sie schon ein paar Monate alt sind, es lieber kühl haben beim Schlafen, kann es sein, dass ein Schafsack da, gerade im Sommer, zu warm ist. Eine Decke gibt Babies die Möglichkeit, sie bei zu viel Wärme wegzustrampeln. Bei Decken wird zwar oft von der Gefahr gesprochen, dass das Kind diese über den Kopf ziehen könnte, aber auch zu viel Wärme erhöht die Gefahr des plötzlichen Kindstods. Somit muss jede Familie für sich und abhängig von den individuellen Schlafgewohnheiten des Kindes beurteilen, was die beste und sicherste Entscheidung ist. 

Um Unfällen in der Nacht entspannt begegnen zu können, kann man sich zuvor alles Benötigte neben dem Bett zurechtstellen: Töpfchen, ein Behältnis, in dem Urin bis zum Morgen gesammelt werden kann, Mullwindeln, Windeln, Handtücher, Bettwäsche, eine Ersatzunterlage, eine Ersatzdecke oder einen Ersatzschlafsack. Bei jedem Unfall die komplette Bettwäsche mitten in der Nacht wechseln zu müssen, ist sehr stressig, und somit kann ich nur empfehlen, sich den eventuellen Ekel vor dem Urin des Kindes oder eventuelle, sehr hohe Reinlichkeitsansprüche abzugewöhnen, ein Handtuch auf die nasse Stelle zu legen und am nächsten morgen erst auszutauschen, was ausgetauscht werden muss. ;)

Asiatöpfchen, eine Unterlage mit wasserfester
PUL-Schicht, ein Windelgürtel und Stulpen.


Kleidung


Je nachdem, ob man ein Windel-Back-Up nutzen will oder dem Kind tatsächlich keine oder nur selten eine Windel anziehen möchte, sind die Ansprüche an die Kleidung natürlich unterschiedlich. Strampler sind so oder so nicht sehr praktisch, da man mit ihnen mehr Zeit zum an- und ausziehen braucht. Dennoch gibt es auch Menschen, die damit gut zurechtkommen, jedoch sollten die Strampler dann wenigstens Knöpfe im Schritt haben.

Zweiteilige Kleidungsstücke eignen sich um einiges besser für Ausscheidungskommunikation. Mit Back-Up lassen sich auch Bodies nutzen, doch wenn man komplett auf Windeln verzichten möchte, sind Bodies nicht sehr praktisch, da es bei einem Unfall mehr umzuziehen gibt.Tshirts/Pullis mit Hosen, oder aber auch Tunikas und Kleider mit Leggings, Strumpfhosen und/oder Stulpen sind gut geeignet. Ebenso sind sogenannte Splitpants sehr praktisch. Diese haben im Schritt einen Schlitz, sodass man ein Kind sehr schnell abhalten kann, ohne die Hose herunterziehen zu müssen. Hier mehr Infos.


Weiterführende Literatur und Webseiten


Zum Schluss möchte ich euch noch ein paar Tipps zum Nachlesen geben und Shops verlinken, in denen es spezielle Windelfrei-Produkte gibt. :)

Auf folgenden Webseiten gibt es viele gute Informationen:

Online-Shops:

Literatur

Ich muss sagen, dass Literatur nicht unbedingt nötig ist bei dem Thema, sondern die Tipps hier und die verlinkten Webseiten ausreichen, um sich vorzubereiten. Aber wer gerne ein Buch in der Hand hat, der kann sich folgende Bücher einmal anschauen, auch wenn ich nicht alle Inhalte komplett teile und man sich streckenweise unter Druck gesetzt fühlen könnte.

  • Ingrid Bauer: Es geht auch ohne Windeln! Der sanfte Weg zur natürlichen Babypflege. Kösel-Verlag, 2004
  • Lini Lindmayer: Windelfrei? So geht's! Tologo Verlag, 2013

So, das wären meine Tipps für Windelfrei/Ausscheidungskommunikation. Fragen können gerne in den Kommentaren gestellt werden. Ich wünsche euch viel Spaß beim Ausprobieren!

Donnerstag, 29. Januar 2015

Was tun, wenn ein Kind sich verschluckt?

Dass dem Kind etwas passiert, davor haben wohl alle Eltern Angst. Die Gefahr, dass ein Gegenstand oder ein Stück Essen im Hals stecken bleibt, ist bei Babies und Kleinkindern besonders hoch. Wir haben wahrscheinlich alle einmal erlebt, dass ein Kind sich verschluckt hat, und manches Mal ist uns das Herz in die Hose gerutscht dabei. Aber was tun, wenn es ernster wird? Wenn das Kind das Objekt nicht abhusten kann und es die Atmung komplett blockiert? Als Antwort darauf wird gerade folgendes Video fleißig in den sozialen Netzwerken geteilt, um Menschen über die richtigen Schritte zu informieren:


Auch wenn das Video mit seiner Kürze gut dafür ist, um auf dieses Thema aufmerksam zu machen, so ist es doch etwas zu verkürzt und ungenau. Deswegen wollte ich euch auch einmal Videos verlinken, in denen das Ganze detaillierter erklärt ist. Bei Säuglingen, also Babies unter einem Jahr, wird anders vorgegangen als bei Kleinkindern, Kindern und Erwachsenen. Deswegen ist es gerade für Eltern und andere Menschen, die mit Kindern zu tun haben, wichtig, einen gesonderten Erste-Hilfe-Kurs zum Thema Säuglinge und (Klein-)Kinder zu besuchen und regelmäßig zu wiederholen. Videos können helfen, das Gelernte aufzufrischen, aber die notwendigen Schritte an entsprechenden Puppen zu üben, macht deutlich sicherer.

Wichtig! Die folgenden Griffe nur anwenden, wenn 
die würgende Person nicht hustet. Solange eine Person 
hustet, sollte sie lediglich ruhig beim Prozess begleitet 
werden, um notfalls schnell einschreiten zu können.
Und: In jedem Fall ruhig bleiben!

Hier ein Video von St. John Ambulance, in dem die Griffe deutlicher erklärt werden. Gerade das Stützen des Nackens ist bei Säuglingen besonders wichtig:


Hier wird erklärt, wie man einem Kleinkind und jungen Kind helfen kann:


Bei älteren Kindern und Erwachsenen würde man folgendermaßen vorgehen:


Wichtig! Nur auf den Rücken schlagen, wenn die Person 
nach vorne gebeugt ist! Durch einen Schlag entspannen 
sich die Muskeln für einen Moment, und dadurch kann das 
verschluckte Objekt dann wieder nach draußen gelangen. 
Doch wenn die betroffene Person dabei aufrecht steht, kann 
die Erdanziehungskraft bewirken, dass das gelockerte Objekt 
noch tiefer in die Luftröhre hineinrutscht!

Sollte man selbst die Person sein, die erstickt, und niemanden um sich haben, der*die einem helfen kann, ist es gut zu wissen, wie man sich selbst helfen kann:


Es ist hilfreich, die Griffe mit einer Puppe, dem*der Partner*in oder vorsichtig im Spiel mit dem Kind zu üben – selbstverständlich ohne richtig zu schlagen/zu drücken. 

Dienstag, 27. Januar 2015

Erfahrungen nach knapp 17 Monaten Windelfrei/Ausscheidungsskommunikation

Unser Sohn wird bald 17 Monate alt, und entsprechend wollte ich ein erstes Resümee ziehen und unsere Erfahrungen mit Windelfrei/Ausscheidungskommunikation mit euch teilen. Die bisherige Reise war sehr interessant, und wir haben viel gelernt. Vor allem konnte ich viel durch die Erfahrungen anderer lernen, sodass ich nun auch meine mit euch teilen möchte, in der Hoffnung, dass es jemandem weiterhilft. Für die, die nicht wissen, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt, kann ich folgende Artikel empfehlen:

http://eliminication.net/
http://www.artgerecht-projekt.de/downloads/artgerecht-windelfrei/
http://www.topffit.de/was-ist-topffit.htm

Kurz zusammengefasst: Babies sind von Anfang an in der Lage, ihr Ausscheidungsbedürfnis zu kommunizieren und ihre Ausscheidungen bis zu einem gewissen Grad zu beherrschen. Eingehen auf die Kommunikation kann einem Baby helfen, das Bewusstsein für die Ausscheidungen aufrecht zu erhalten, und kann somit viele Vorteile bringen. Windelfrei/Ausscheidungskommunikation ist nicht das gleiche wie Sauberkeitserziehung, da das Kind eben nicht zu irgendetwas hingezogen wird durch Belohnung/Schimpfen und ähnlichem, sondern es wird lediglich auf das Kind und seine Bedürfnisse eingegangen.

Babies haben eindeutig von Anfang an eine gewisse Kontrolle über ihre Ausscheidungen, da ansonsten der Urin z. B. permanent unkontrolliert tropfen würde. Eine leichte Inkontinenz, bei der wenige Tropfen mal herauskommen, haben wohl tatsächlich alle Babies, allerdings urinieren Babies von Anfang an im Strahl, bei Neugeborenen häufig in dem Moment, in dem man die Windel abnimmt. Dadurch ist deutlich, dass sie ihren Urin für eine gewisse Zeit halten können. Und dass sie ungern ihre Kleidung nass machen, sondern sich lieber erleichtern, wenn sie ausgezogen sind.

Bei der Ausscheidungskommunikation wird seitens der Eltern nach bestimmten Signalen Ausschau gehalten, die einer Ausscheidung vorhergehen, um das Kind dann zu entkleiden und es „abzuhalten“, also über einem Töpfchen, dem Waschbecken oder ähnlichem zu halten, damit es sich dann dort entspannen kann. Es geht also nicht darum, dass es die Ausscheidungen halten soll, sondern darum, dass dem Kind ermöglicht wird, sich zu entspannen, ohne sich selbst zu beschmutzen.

Viele Babies reagieren sehr unruhig, wenn sie in ihre Windel machen müssen, manche reagieren sogar darauf, überhaupt eine Windel zu tragen. Entsprechend kann Ausscheidungskommunikation Eltern und Kind helfen, entspannter durch den Alltag zu gehen.

Ich habe schon lange vor meiner Schwangerschaft von Ausscheidungskommunikation gehört, unter anderem einer Runde beigewohnt, bei der zwei Familien ihre Erfahrungen mit Interessierten geteilt haben. Ihre Erfahrungen haben mich davon überzeugt, es mit Windelfrei auszuprobieren.

Während der Schwangerschaft habe ich in dem Buch „Es geht auch ohne Windeln“ von Ingrid Bauer gelesen, habe im Internet recherchiert und mich on- und offline mit anderen Eltern ausgetauscht. Ich habe teilweise in mir den Druck gespürt, dass es gleich von Anfang an perfekt klappen müsse, aber die Erfahrungen anderer haben mir geholfen, mich diesbezüglich weitestgehend zu entspannen.

Als mein Sohn geboren wurde, haben wir ihn die ersten drei Tage nackt gelassen, größtenteils mit Körperkontakt und/oder locker in Tücher gewickelt. (Nicht gepuckt.) Ich hatte gehofft, dass ich so schneller ein Gefühl dafür entwickeln würde, wann er müsse. Aber mit zunehmenden Ausscheidungen, deren Signale ich noch nicht merkte, habe ich mich entschieden, ihm Windeln (und Kleidung) anzuziehen, um so den Stress zu reduzieren. Am 5. Tag probierte ich zum ersten Mal, ihn über einem Töpfchen zu halten, und er legte tatsächlich gleich los, jedoch ließ sich der Strahl schlecht „kontrollieren“. Also entschlossen wir uns, ihn über einer Plastikwanne abzuhalten, um so die Treffsicherheit zu erhöhen. ;)



Bezüglich des großen Geschäfts klappte es schnell, dass ich die Signale dafür identifizieren konnte. In seinem Fall drückte er zum einen recht offensichtlich, allerdings tat er dies auch bei Blähungen. Mit der Zeit stellte ich fest, dass es ein ganz bestimmtes Darmgeräusch gab, bevor er groß musste, dieses bei Blähungen aber ausblieb. Das Geräusch war eine Art helles Blubbern. Es pendelte sich auch schnell ein Rhythmus ein, er hatte im Allgemeinen ein- bis zweimal am Tag Stuhlgang, und meistens zu bestimmten Uhrzeiten, sodass ich zu diesen Zeiten aufmerksamer war als sonst.

Nur bezüglich des kleinen Geschäfts konnte ich nach wie vor keine Signale entdecken. Wir hielten ihn zu den typischen Zeiten ab, nach dem Stillen und beim Wickeln, auch wenn er sich dann zwar oft erleichterte, landete dennoch auch viel in der Windel. Ich denke, er urinierte viel während des Stillens. Aber da ich anfangs Stillschwierigkeiten hatte und mich darauf konzentrierte vom Stillhütchen wegzukommen, konnte ich nicht auch noch lernen, wie man ein Baby beim Stillen abhält.

Ich hatte auch probiert, ihn regelmäßig ohne Windel, nur mit einem Mulltuch zwischen den Beinen, zu lassen und ihn bewusst zu beobachten, um seine Signale zu erkennen. Leider merkte ich erst ein bis zwei Sekunden vorher, dass er sich erleichtern musste, also zu spät um ihn noch abzuhalten. Entsprechend wollte ich eventuellen Druck und Stress lösen und akzeptierte, dass es mit dem kleinen Geschäft einfach noch nicht so gut klappte. Dass das große Geschäft überwiegend im Töpfchen landete, war schon eine super Sache.

Wegen verschiedener Gründe stiegen wir, als er so drei/vier Monate alt wurde, darauf um, ihn im Liegen auf Klopapier oder Küchenpapier seinen Stuhlgang verrichten zu lassen. Er wurde sehr schnell sehr schwer, brauchte aber recht viel Zeit für seine Ausscheidungen, sodass es anstrengend für uns wurde, ihn über der Wanne zu halten. Von dem Töpfchen war er nicht sehr begeistert, im Liegen schien es ihm jedoch zu gefallen. Nun mag das für einige aufwendig klingen, aber wir bevorzugten es gegenüber dem, seinen ganzen Intimbereich von seinen Ausscheidungen zu befreien und die Windel ausspülen zu müssen. Auch er schien sich lieber im Liegen erleichtern zu wollen statt in die Windel, da er oft beim Wickeln loslegte. Es pendelte sich so ein, dass er morgens sein großes Geschäft direkt beim Wickeln verrichtete, bzw. irgendwann auch unruhig aufwachte, weil er musste. Somit legten wir ihn auf den Wickeltisch, zogen die Windel aus, und er begann sogleich damit.

Mit etwa fünf/sechs Monaten wurde mein Sohn plötzlich nachts zunehmend unruhiger. Da er das nächtliche Wickeln auch immer weniger tolerierte, dachte ich, dass auch die nächtliche Unruhe etwas mit dem Wickeln/Urinieren zu tun haben müsse. Von anderen Eltern hatte ich gehört, dass ihre Babies nachts nicht mehr gewickelt werden wollten, und sie sie somit die ganze Nacht in einer gut ausgestopften Windel ließen. Also probierte ich das auch aus. Aber es änderte nichts an seiner Unruhe. Nach wie vor wachte er ständig auf, wollte stillen und ließ sich kaum ablegen. Entsprechend kam ich dann darauf, es einmal auszuprobieren, ihm nachts gar keine Windel anzuziehen. Um Unfällen möglichst entspannt begegnen zu können, wurde sein Schlafbereich im Familienbett entsprechend vorbereitet, sodass ich schnell seine Unterlage wechseln konnte.

Es gab zwar eine ganze Weile lang so gut wie täglich Unfälle, aber doch urinierte er den größten Teil der Nacht beim Stillen. Und da ich Stillen mit Töpfchen darunter noch nicht beherrschte, weil die Töpfchen ungeeignet waren, hielt ich ihm einfach eine Mullwindel zwischen die Beine, in die er sich erleichtern konnte, und die dann gleich in den Windeleimer kam, sobald er fertig war.

Um uns das ganze noch einmal stressfreier zu machen, bestellte ich Asia-Töpfchen, Windelgürtel und Unterlagen auf dieser Webseite. Mit Windelgürtel und Mullwindel schlief mein Sohn auch entspannt, sodass ich die Unterlage selten wechseln musste und ein Wechseln der Mullwindel ausreichte. Dank des Asia-Töpfchens schaffte ich es dann auch, ihn während des Stillens abzuhalten. (Ich werde auf die Produkte im nächsten Artikel näher eingehen.)



Im Sommer, etwa von seinem achten bis zehnten Lebensmonat, lief es sehr gut mit der Ausscheidungskommunikation. Sein großes Geschäft verrichtete er nach wie vor weitestgehend direkt nach dem Aufstehen, und er begann nun auch, sein kleines Geschäft zu signalisieren, indem er scheinbar grundlos unruhig wurde. Als wir verstanden, woher die Unruhe kam, setzten wir ihn gleich aufs Töpfchen, und er erleichterte sich. Nur unterwegs blieben wir bei Windeln, da es oft für ihn und uns stressig war, ihn auszuziehen und an einem geeigneten Ort abzuhalten. Unterwegs wollte er auch lieber im Geschehen sein, statt davon entfernt zu werden. Wir brauchten zu dieser Zeit nur wenige Windeln in der Woche.

Doch als er mit zehn Monaten begann mobil zu werden und krabbeln lernte, blieb die Kommunikation sowohl beim großen als auch kleinen Geschäft plötzlich aus. Er verrichtete seinen Stuhlgang nur noch selten morgens, sondern zu verschiedenen Zeiten im Laufe des Tages. Nach einigen daneben gegangenen großen Geschäften stellte ich fest, dass seine Signale doch noch da waren, jedoch deutlich subtiler, und ich musste mich erst einmal neu darauf einstellen. Aber immerhin lief es in dem Bereich wieder, auch wenn er tagsüber wieder eine Windel trug. Zunächst war ich etwas frustriert, aber machte mir bewusst, dass es sich nicht um einen geradlinigen Prozess handelte. Auch von anderen hörte ich häufig, dass Babies in ihrer Mobilitätsphase erst einmal für eine Weile ihre Ausscheidungen nicht mehr kommunizierten bzw. ihnen das Spiel wichtiger war als eine saubere Windel.

So blieb es dann bis vor wenigen Wochen. Mit 15/16 Monaten lernte er frei zu laufen, und da schien ihn die Windel zu stören, er zog sie sich selbst aus oder forderte uns auf, dies zu tun. Praktischerweise muss er allerdings seitdem noch etwa alle zwei Stunden Wasser lassen, und ich bekomme ein besseres Gefühl dafür, wann dieser Moment ist. Es ist für mich immer noch sehr erstaunlich, aber ich denke mir manchmal plötzlich, dass er wahrscheinlich mal muss, halte ihn ab oder setze ihn aufs Töpfchen, und legt er tatsächlich gleich los. Ich habe von dieser Intuition oft gelesen/gehört, hatte es manchmal erlebt, aber bei uns hat es anscheinend länger gedauert, bis es sich zuverlässiger einstellte. Kürzlich forderte er mich sogar selbstständig dazu auf, ihn aufs Töpfchen zu setzen, und er begann gleich mit dem kleinen und großen Geschäft.

Nachts war es in den letzten Monaten sehr wechselhaft. Es gab Phasen, in denen er trocken zu werden schien, dann wieder Phasen, in denen er sich fast ausschließlich in die Mullwindel/auf die Unterlage erleichterte. Doch in der Regel urinierte er ein- bis zweimal in der Nacht auf die Unterlage und drei- bis viermal ins Töpfchen. Eine leichte Verstopfung war manchmal eine Ursache für häufigere Unfälle, da Verstopfung und Bettnässen miteinander zusammenhängen. (Hier ein interessanter Link zu dem Thema.) Selten waren Krankheit oder die Zähne die Ursache, aber sehr oft war ich einfach zu müde, um von seinem unruhigen Grummeln schnell genug aufzuwachen, bevor er mit dem kleinen Geschäft loslegte.

Allerdings gab es auch da in den letzten Wochen eine Veränderung: Nachdem ich einige Wochen das Gefühl hatte, er würde versuchen den Urin länger einzuhalten, wovon er dann zwar unruhig wach wurde, sich aber eben nicht erleichterte, hat er mittlerweile tatsächlich gelernt, seltener zu müssen. Er wacht zum Stillen nach wie vor alle zwei bis vier Stunden auf, aber uriniert nur ein- bis zweimal in der Nacht. Deshalb bleibe ich meistens liegen beim Stillen, und nur wenn ich mir denke, dass er wieder muss, oder er mir dies durch eine bleibende Unruhe deutlich macht, setze ich mich auf und halte ihm das Töpfchen drunter. Da er nun deutlich länger einhalten kann, gibt es nun auch wieder deutlich weniger Unfälle.

Wie man sieht, ist unser Abenteuer mit der Ausscheidungskommunikation von einem Auf und Ab geprägt. Auch wenn es sich für manche vielleicht anstrengend anhört, und es das auch tatsächlich manchmal war, so würde ich es nicht anders machen wollen, da wir dank der tieferen Kommunikation vieles an Unruhe und Unzufriedenheit auflösen konnten. Dass wir Windelwäsche sparen, sehr selten mit Kot in der Windel und entsprechend wunder Haut zu tun haben und dass er womöglich jetzt schon mehr oder weniger trocken ist, sind schöne Nebeneffekte. Für mich ist die Hauptmotivation seine eigene Motivation. Ich finde es immer noch erstaunlich, dass er sich selbstständig dazu entschieden hat, nachts trockener zu werden, unterwegs fast nie groß zu müssen (ohne deswegen verspannt zu sein) und länger einzuhalten – ganz ohne Druck oder Belohnung.

Natürlich passieren Unfälle, wenn er keine Windel an hat, und das ist manchmal auch ärgerlich. Aber ich halte es für wichtig, sich da selbst, so weit es geht, zu entspannen und die Gegebenheiten entsprechend anzupassen, damit ein Unfall möglichst stressfrei beseitigt werden kann. Unterlagen auf Betten/Matratzen/Sofas, Teppiche möglichst für eine Weile wegpacken oder auch abdecken und überall etwas zum aufwischen bereit halten – das gibt viel Lockerheit. Eine Pfütze auf dem Fußboden ist ja auch schnell beseitigt, woran ich mich manchmal auch selbst erinnern muss.

Ich finde es bei Windelfrei sehr wichtig, sich die verschiedenen Möglichkeiten des Abhaltens bewusst zu machen und sich gegebenenfalls daran zu erinnern. Denn meine Erfahrung ist, dass Babies selten in immer der gleichen Position abgehalten werden wollen. Mein Sohn wollte häufig nicht aufs Töpfchen bzw. auf die WC-Verkleinerung, und entsprechend haben wir ihn wie auf dem ersten Bild über die Wanne oder das Waschbecken gehalten. Er wollte auch häufig möglichst nahen Körperkontakt beim Abgehaltenwerden, vor allem nachts, sodass es sehr hilfreich war, in Stillposition das Töpfchen drunter haben zu können, ob ich nun tatsächlich stillte oder er einfach in meinen Armen lag.

Abschließend muss ich noch betonen, dass ich die Kombination aus Stoffwindeln und Windelfrei/Ausscheidungskommunikation sehr toll finde und nur empfehlen kann. Stoffwindeln, vor Allem das Überhosen-System, lassen sich gut daran anpassen, wie viel das Kind nun vermutlich urinieren wird. Dagegen muss man bei der Kombination aus Windelfrei und Wegwerfwindeln oft Windeln wegwerfen, in denen gerade einmal ein bisschen Urin landete. Und auch, dass Babies bei Stoffwindeln besser die Feuchtigkeit wahrnehmen können, sehe ich als einen Vorteil. So sind sie sich über die Geschehnisse bewusst, statt immer nur eine trockene Wegwerfwindel zu spüren, können so ein besseres Gefühl für ihre Ausscheidungen entwickeln und früher trocken werden – ganz ohne Sauberkeitserziehung. (Hier ein Artikel zum Thema Stoffwindeln.)

Mit den bisher gemachten Erfahrungen freue ich mich darauf, auch mit dem nächsten Kind selbstbewusster und entspannter diese Reise anzutreten, und ich hoffe, dass ich euch mit dem Bericht helfen konnte. Ich freue mich, wenn ihr eure Erfahrungen als Kommentar für andere hinterlassen würdet, und natürlich könnt ihr auch Fragen stellen. :)

Im nächsten Artikel werde ich euch Tipps zum Thema geben und praktische Hilfsmittel vorstellen.

Montag, 12. Januar 2015

Education Without Borders—A Closer Look … / Bildung ohne Grenzen – Eine genauere Betrachtung …

Education Without Borders—A Closer Look …

I wrote about this topic in my other blog, that is dormant at the moment, two years ago after watching the documentary “Schooling the World—A White Man’s Last Burden”. (Video below.) As this topic still moves me today I revised the text to post it on this blog. Because this blog is not only about the liberation of the western family, but about the liberation of all families.

After I finished school I started to see the western educational and schooling agenda very critically. We western people tend to think that our education system would be superior to others and that we would have to help non-western countries overcoming poverty and their “inferior” political and societal system by schooling them.

But why should the western education system and the western knowledge be so great and superior that “we” would have to spread it in the whole wide world? Are western people all surprisingly happy? Does the western system work perfectly without harming anyone? And even if that would be the case—would that entitle the western world to force others to live by the same rules and in the same way?

I used the word “force” on purpose. Some people might argue that in our modern times the west does not force anybody, that other peoples and cultures themselves would want to learn how to read and speak English and so on. Is that really the case? I suggest to take a closer look.

So what is the west actually doing? What are we actually doing? One version would be: We march into regions where people live in small, sustainable communities in harmony with nature and we call the people there “uncivilized” and “poor”. We rob them of their food, their water, their land and their resources. Therefore the people have to start to work for us to sustain themselves, because the way they have sustained themselves for hundreds of years doesn’t work anymore, we have taken it all. Now they depend on us for work and for “generous” donations etc.

But that’s still not enough. Now they have to be “civilized”, they have to be “schooled”. Why? Because they have to be good workers. Thus we tell them that they would be dumb, they wouldn’t know anything, that their way of life would be backward and the western way of life would be progressive. We do this until many of the so-called “uncivilized” people start to actually believe that the only option worth striving for would be to become like us. Especially very young people are being targeted. Now many of the non-western people are fighting for themselves to get the western education, as we made them depend on it, and the western teachers go into these countries believing they would be doing something good. They have the best intentions, but are they really helping? Or are they not feeding a system that makes more and more people dependant on the western world and by doing this makes us richer and richer?

These indigenous peoples have adapted to their surroundings and to the nature they live in, they very often have a vast oral tradition, they posses immense knowledge on how to grow ones food, how to build a house, how to live sustainably so the future generations can survive too, and they have rich cultures, full of music and art.

I do not want to idealise indigenous peoples, but there are certain facts:

- Many of them manage to deal with topics the west has problems with: sustainability, making communal decisions, living self-sufficient and so on.
- Every way of life is unique and nobody would want other peoples just marching in and forcing their way of life unto ones own.

Of course indigenous peoples are not perfect. But neither is everything perfect in the western world—far from it. So who are we to force our education and with that our way of life on other people? And who are we to be so arrogant as to think that the western knowledge is worth more than the non-western knowledge? For example: How could a written tradition and with that the ability to write and read be worth more or less than an oral tradition and with that the ability to know a huge amount of information by heart?

And even with cultures that are neither indigenous nor western the story goes very similar: We invent reasons to march into the respective countries, but the real reasons seem to always be power and money. We used to play the religion card, sent missionaries to spread the oh so superior Christianity. But that seems to be out. We want to paint Muslims as the evil ones that want to spread their religion. So now we say that we want to bring democracy and education into those countries, but we are mainly instilling consumerism through schools.

Colonialism still exists, it just goes through the backdoor. And the missionaries are now teachers who are preaching the western life to “those who have to be saved”.

Of course everybody should have the right and the possibilities to leave the culture or the country one was born into and/or to learn whatever one wants to learn. But western people have to stop thinking (consciously or unconsciously) that they would be superior to other cultures and countries, because this mindset harms other people. Yes, nobody should have to suffer, to starve or to live in a war. But we cannot help others by intruding into their lives even further. We cannot help if we don’t view others as equal. We cannot help if others don’t want our help. And most importantly: We have to ask for help ourselves, as we are in urgent need of some as well.

We as humans and earthlings should work together and learn from each other instead of forcing anybody to live in one specific way. Every culture has something to contribute, we all could gain so much. Or in the words of Tȟatȟáŋka Íyotake (Sitting Bull):

“Let us put our minds together and see what life we can make for our children.”



Bildung ohne Grenzen – Eine genauere Betrachtung …

Ich habe vor zwei Jahren über dieses Thema in meinem anderen Blog, der aktuell ruht, geschrieben, nachdem ich die Dokumentation „Schooling the World—A White Man’s Last Burden“ sah. (Video unten.) Da dieses Thema mich nach wie vor bewegt, habe ich den Text überarbeitet, um ihn hier auf diesem Blog zu veröffentlichen. Denn in diesem Blog geht es nicht nur um die Befreiung der westlichen Familie, sondern um die Befreiung aller Familien.

Nachdem ich die Schule abgeschlossen hatte, begann ich die westliche Bildungs- und Schulungsagenda sehr kritisch zu sehen. Wir westlichen Menschen neigen dazu zu denken, dass unser Bildungssystem anderen überlegen wäre und wir nicht-westlichen Ländern helfen müssten, ihre Armut und ihr „unterlegenes“ politisches und gesellschaftliches System zu überwinden, indem wir sie beschulen.

Doch warum sollte das westliche Bildungssystem und das westliche Wissen so großartig und überlegen sein, sodass „wir“ hinausgehen müssten, um es in der ganzen Welt zu verbreiten? Sind westliche Menschen alle außergewöhnlich glücklich? Funktioniert das westliche System perfekt, ohne dass jemand dabei zu Schaden kommt? Und selbst wenn dem so wäre – würde dies der westlichen Welt das Recht geben, andere dazu zu zwingen, nach den gleichen Regeln und auf die gleiche Art und Weise zu leben?

Ich habe absichtlich „zwingen“ geschrieben. Manche Menschen könnten einwenden, dass der Westen in unserer modernen Zeit niemanden zwingt, dass andere Völker und Kulturen selbst lernen wollen würden, Englisch zu lesen und zu sprechen usw. Ist das wirklich der Fall? Ich schlage vor, genauer hinzusehen.

Was macht der Westen also tatsächlich? Was machen wir eigentlich tatsächlich? Eine Version wäre: Wir marschieren in Regionen ein, in denen Menschen in kleinen, nachhaltigen Gemeinschaften in Harmonie mit der Natur leben, und wir nennen die Leute dort „unzivilisiert“ und „arm“. Wir rauben ihnen ihr Essen, ihr Wasser, ihr Land und ihre Ressourcen. Somit müssen die Menschen anfangen, für uns zu arbeiten, um sich zu ernähren, denn die Art und Wiese, wie sie sich seit Hunderten von Jahren ernährt haben, funktioniert nicht mehr, wir haben ihnen alles genommen. Nun sind sie von uns abhängig bezüglich Arbeit und „großzügiger“ Spenden.

Aber das ist noch nicht genug. Nun müssen sie „zivlisiert“ werden, sie müssen beschult werden. Warum? Weil sie gute Arbeiter*innen sein müssen. Also sagen wir ihnen, dass sie dumm seien, dass sie nichts wüssten, dass ihre Lebensweise rückständig sei und die westlichen Lebensweise fortschrittlich. Wir tun dies bis viele der so genannten „unzivilisierten“ Menschen beginnen zu glauben, dass sie tatsächlich die einzig erstrebenswerte Möglichkeit sei, so zu werden wie wir. Vor Allem sehr junge Menschen werden ins Visier genommen. Nun kämpfen viele der nicht-westlichen Menschen selbst darum, eine westliche Bildung zu bekommen, da wir sie davon abhängig gemacht haben, und westliche Lehrer*innen ziehen in diese Länder in dem Glauben, dass sie etwas Gutes täten. Sie haben die besten Absichten, aber helfen sie tatsächlich? Oder füttern sie nicht ein System, das immer mehr Menschen abhängig von der westlichen Welt und uns somit reicher und reicher macht?

Diese indigenen Völker haben sich an ihre Umgebung und die Natur, in der sie leben, angepasst, sie haben sehr häufig eine ausgedehnte mündlich überlieferte Tradition, sie verfügen über ein immenses Wissen darüber, wie man sein eigenes Essen anbaut, wie man ein Haus baut, wie man nachhaltig lebt, so dass auch zukünftige Generationen überleben können, und sie haben reiche Kulturen voller Musik und Kunst.

Ich möchte indigene Völker nicht idealisieren, aber gewisse Fakten stehen nun einmal fest:

- Viele von ihnen gehen erfolgreich mit Themen um, mit denen der Westen seine Probleme hat: Nachhaltigkeit, gemeinschaftliche Entscheidungsfindung, eigenversorgt zu leben usw.
- Jede Lebensart ist einzigartig und niemand würde wollen, dass andere Menschen einfach einmarschierten und ihre Lebensart einem aufzwängten.

Natürlich sind indigene Völker nicht perfekt. Aber genauso wenig ist in der westlichen Welt alles perfekt – im Gegenteil. Also wer sind wir, dass wir anderen Menschen unsere Bildung und damit unsere Lebensweise aufzwingen? Und wer sind wir, um so arrogant zu sein, dass wir glauben, das westliche Wissen sei mehr wert als das nicht-westliche Wissen? Zum Beispiel: Wie könnte eine schriftliche Überlieferung und damit die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben mehr oder weniger wert sein als eine mündliche Überlieferung und damit die Fähigkeit, eine enorme Menge an Informationen auswendig zu wissen?

Und selbst bei Kulturen, die weder indigen noch westlich sind, läuft die Geschichte sehr ähnlich: Wir erfinden Gründe, um in die entsprechenden Länder einzumarschieren, aber die wahren Gründe scheinen immer Macht und Geld zu sein. Wir haben früher die Religionskarte gespielt, haben Missionare losgeschickt, um das ach so überlegene Christentum zu verbreiten. Aber das ist offenbar nicht mehr modern. Wir möchten nun Muslime als die bösen darstellen, die ihre Religion verbreiten wollen. Also sagen wir nun, dass wir Demokratie und Bildung in diese Länder bringen wollten, aber hauptsächlich flößen wir Konsumerismus durch Schulen ein.

Kolonialismus existiert nach wie vor, er geht nur durch die Hintertür. Und die Missionar*innen sind nun Lehrer*innen, die den westlichen „way of life“ denen predigen, die „gerettet werden müssen“.

Natürlich sollte jede*r das Recht und die Möglichkeit haben, die Kultur oder das Land zu verlassen, in die/in das man hineingeboren wurde, und/oder das zu lernen, was auch immer man lernen möchte. Aber westliche Menschen müssen aufhören, (bewusst oder unbewusst) zu denken, dass sie anderen Ländern und Kulturen überlegen seien, denn diese Einstellung schadet anderen Menschen. Ja, niemand sollte leiden, hungern oder in einem Krieg Leben müssen. Aber wir können anderen nicht helfen, indem wir uns noch mehr in ihr Leben einmischen. Wir können nicht helfen, solange wir andere nicht als ebenbürtig ansehen. Wir können anderen nicht helfen, wenn diese unsere Hilfe nicht wollen. Und am wichtigsten: Wir müssen selbst um Hilfe bitten, denn auch wir brauchen sie dringend.

Wir als Menschen und Erdlinge sollten zusammen arbeiten und voneinander lernen, statt irgendjemanden dazu zwingen, auf eine bestimmte Weise zu leben. Jede Kultur hat etwas beizutragen, wir könnten alle so viel gewinnen. Oder mit den Worten von Tȟatȟáŋka Íyotake (Sitting Bull):

„Lasst uns unseren Verstand bündeln und schauen, welches Leben wir für unsere Kinder schaffen können.“



Mittwoch, 3. Dezember 2014

Unerzogen – Was es ist und nicht ist.



Dieser Post greift vieles auf, das in einer Diskussion in einer Eltern-Gruppe auf Facebook vor bald einem Jahr geschrieben wurde. Hiermit ein riesengroßes Danke an alle, die mitdiskutiert haben. Es ist selten, dass Internet-Diskussionen trotz Reizthema und durchaus provokanten Äußerungen so konstruktiv verlaufen.

Schon das Wort „unerzogen“ ist provokant. Es ist provokant, Erziehung zu kritisieren und sich bzw. die eigenen Kinder stattdessen als „unerzogen“ zu bezeichnen. Unerzogen wird sehr häufig mit antiautoritärer Erziehung gleichgesetzt. Aber letzteres ist eben ein Erziehungsstil, wohingehen „Unerzogen“ der bewusste Verzicht auf Erziehung ist. Wie ich in meinem letzten Post schrieb, liegt Erziehung der (bewusste oder unbewusste) Glaube zu Grunde, dass Heranwachsende so, wie sie sind, nicht richtig seien, und sie erst einmal viele Jahre des Zurechtgezogen-Werdens hinter sich bringen müssten, um als „vollwertige“ Teile der Gesellschaft zu gelten und entsprechend respektiert zu werden. Kinder sollen dabei schon früh mit Regeln konfrontiert werden und so mit diesen umgehen lernen. Genauso sollen sie früh mit anderen Dingen konfrontiert werden, wie z. B. mit Frustration und Konsequenzen (Strafen), was sie wieder auf das Leben vorbereiten soll. (Wobei antiautoritäre Erziehung da eine Ausnahme bildet, auf die ich weiter unten etwas mehr eingehen werde.)

Die Sache ist nur: Eltern müssen keine „künstlichen“, unauthentischen Regeln und Grenzen schaffen, damit ihre Kinder lernen können, mit diesen umzugehen. Es gibt ohnehin sehr, sehr viele „natürliche“ oder authentische Grenzen, und es gibt Regeln, die sich aus diesen Grenzen ergeben, und es gibt „natürlich“ bzw. authentisch vorkommende Konsequenzen. All dies ist für ein Kind ohnehin schon sehr frustrierend. Jeder Mensch hat seine eigene persönliche Grenze, Menschen in Gruppen haben zusätzliche, gruppenspezifische Grenzen. Dazu kommen noch Grenzen von anderen Lebewesen, mit denen wir interagieren, Grenzen der Umwelt (Stichwort Ökologie), physikalische Grenzen und viele mehr. Gerade in der Stadt sind die Freiheiten von Kindern ohnehin stark eingeschränkt. Das ist schon ein großer Haufen Grenzen, und damit verbunden sind viele Regeln und Konsequenzen. Zusätzliche, künstlich geschaffene sind schlicht nicht nötig.

Was ist nun eine unauthentische Grenze, was eine authentische? Mein Sohn ist gerade (wieder) sehr begeistert von Wasser. Er möchte sehr häufig am Tag mit Wasser spielen, vor allem sobald er ein Waschbecken, das Trinkwasser der Hunde oder eine Tasse mit Wasser darin sieht. Nun ist meine Grenze, dass ich nicht mehrmals am Tag nass werden möchte, und dass ich nicht möchte, dass der Parkettboden ständig nass wird. Genauso möchte ich, dass auch viele andere Gegenstände nicht nass werden, wenn es ihnen schaden könnte oder sie dadurch kaputt gehen könnten. Mir ist ebenso wichtig, dass seine Kleidung nicht mehrmals am Tag nass wird, da ich nur eine begrenzte Anzahl von Wechselklamotten für ihn habe. Das sind schon sehr, sehr viele Grenzen. Nun hat er aber auch seine persönliche Grenzen: Ich habe kein Recht, ihm diesen Spaß zu verbieten und somit dafür zu sorgen, dass er sehr häufig am Tag fürchterlich weinen würde, bis er letztlich aufgäbe, und ich ihm damit ein Stück Wissbegierde und sehr viele Lernerfahrungen kaputt gemacht hätte. Denn das ist ja das, was er möchte: Er möchte lernen, was Wasser ist und wie es funktioniert. Er möchte mich nicht ärgern oder manipulieren. Wenn ich aus den gerade genannten authentischen Grenzen schließen würde, dass er gar nicht mit Wasser spielen dürfte oder nur viel seltener, als er das möchte, würde ich eine künstlich-unauthentische Grenze aufziehen und damit seine Grenzen überschreiten. Die Konsequenz wäre somit eine Strafe, und seine Frustration wäre zu hoch, als dass er lernen könnte, mit dieser umzugehen.

Also suche ich nach Lösungen, die weder seine noch meine Grenzen überschreiten. Er spielt sehr viel in der Badewanne, aber nur mit 5–10 cm Wasser, da mir auch Ressourcenschonung wichtig ist. (Ich verbrauche durch die Stoffwindeln schon genug Wasser.) Zusätzlich hat er eine Art „Wasserstation“ im Spielzimmer. Es gibt dort eine abwischbare, große Krabbelmatte, in die Mitte habe ich ein paar große Badetücher platziert. Wenn er in der Küche z. B. das Wasser aus dem Hahn laufen sieht und damit spielen möchte, sage ich ihm: „Okay, wir gehen ins Spielzimmer, und da kannst du mit Wasser spielen.“ Anfangs war er noch frustriert, weil ich ihn im ersten Moment vom Wasser weggenommen habe, aber er hat relativ schnell gelernt, dass ich ihm eine alternative Möglichkeit gebe, mit Wasser spielen zu können. Ich ziehe ihm noch schnell seine Klamotten aus, und auf die Tücher stelle ich ihm dann eine große Schüssel mit Wasser. Dazu hat er noch diverse wassertaugliche Spielzeuge. Er ist zufrieden, weil er mit Wasser spielen kann. Und ich bin zufrieden, weil weder ich noch der Boden noch seine Klamotten nass werden, und ich kann dann entweder mitspielen oder habe etwas Zeit, in der ich etwas erledigen oder mich auch einfach ausruhen kann. Am Wasch-/Spülbecken spielt er auch öfter, aber da es dort wieder mehr Grenzen gibt (ich und der Boden werden dabei häufiger nass, manchmal liegen potentiell gefährliche Gegenstände wie Messer in der Nähe des Spülbeckens usw.), biete ich ihm meist seine Spielstation an, und meist lässt er sich auf diesen Kompromiss ein. Desweiteren wünsche ich mir natürlich, dass er ein Verständnis dafür entwickelt, warum Spielen mit Wasser nicht immer und überall möglich ist. Also erkläre ich ihm die authentischen Grenzen von mir und anderen Personen. Aber nicht mit „Das macht man nicht“, denn er kennt diesen „man“ ja gar nicht. Ich bleibe stattdessen bei mir: „Der Boden geht durch Wasser kaputt, und ich möchte, dass der Boden heil bleibt.“ Auch wenn er jetzt noch nicht so viel versteht, wird er es mit der Zeit immer besser verstehen, sodass ich dann noch mehr erklären werde („Warum geht der Boden kaputt?“, „Warum möchtest du, dass er heile bleibt?“ ;) ), aber auf jeden Fall versteht er jetzt schon meinen Ton. Ich möchte ihn nicht bestrafen, ich möchte ihm nicht den Spaß verderben. Ich kann sehr gut verstehen, dass ihn das frustriert, und ich möchte ihm eine Alternative bieten. All das kann ich durch meinen Ton vermitteln.

Diverse Konflikte im Alltag können so behandelt werden. Wenn die Kinder laut sind, wenn sie die Wand anmalen wollen, wenn sie einen selbst oder andere verletzen – bei all diesen Konflikten sind die Fragen: Was ist meine Grenze? Was sind die Grenzen anderer beteiligter Personen? Und ganz wichtig, aber leider oft ignoriert: Was ist die Grenze des Kindes? Genauso betrifft das auch die Wünsche und Hoffnungen aller Beteiligten. Mit dem Wissen über die jeweiligen Grenzen und Wünsche kann dann überlegt werden, welche Möglichkeiten es gibt, einen Kompromiss zu finden. Je älter das Kind wird, umso mehr Kommunikation erfordert dies. Und von Anfang an erfordert es viel Reflexion, Einfühlungsvermögen und auch Kreativität bezüglich Lösungsansätzen. Das ist nicht einfach, aber im Endeffekt bedeutet es viel, viel weniger Kampf, was ich als eine große Erleichterung im Alltag empfinde. Und das alles hat nichts mit Erziehung zu tun. Diesen Umgang mit Konflikten wünsche ich mir für alle Menschen und Zusammenschlüsse von Menschen. Das ist auch eine großartige Möglichkeit, Kinder auf ihre Zukunft vorzubereiten. Denn die Fähigkeit Konflikten mit Ruhe, Reflexion, Kommunikation und Kompromiss- bzw. Konsensfindung begegnen zu können, ist eine, die einen sehr weit bringen kann, und zwar in sämtlichen Lebensbereichen.

Wie wird jedoch meistens mit Konflikten umgegangen? Der Alltag in den meisten Familien ist, dass die Macht der Eltern den Kindern aufgezwungen wird. Und wir haben sehr viel Macht, gerade über die Jüngsten. Ich könnte meinen Sohn körperlich davon abhalten, mit Wasser zu spielen (oder: laut zu sein, die Wand anzumalen usw.), ohne ihm eine Alternative zu bieten. Sollte er doch einmal an Wasser herankommen, z. B. an das Trinkwasser der Hunde, könnte ich ihn anschreien und bestrafen. Oder ich könnte etwas tun, was für sanfte Erziehung gehalten wird: Ich könnte ihn davon ablenken, mit Wasser zu spielen. Aber was würde er daraus lernen? Er würde zum einen lernen, dass mein Bedürfnis, mein Wille wichtiger sind als sein Bedürfnis und sein Wille. Er würde lernen, dass manche Menschen mehr wert sind als andere. Er würde bei der „sanften Erziehung“ lernen, dass Menschen andere Menschen manipulieren dürfen. Und dass die, die auf irgendeine Art und Weise mehr Macht haben, diese Macht gegenüber Schwächeren ausnutzen dürfen. So sieht zwar tatsächlich die Welt gerade aus, aber ich wünsche mir eine bessere Welt. Mein Sohn wird noch früh lernen, dass andere nach diesen Prinzipien leben. Aber er wird dann wissen, dass dies nicht so sein muss. Dass es auch eine Alternative gibt zu dem, was alltäglich in unserer Gesellschaft abläuft. Und er wird wissen, dass diese Alternative tatsächlich funktioniert.

Somit ist das dann auch die Antwort auf so typische Fragen wie: „Aber was ist, wenn das Kind auf die Straße läuft?“ Ich sehe es nicht als Erziehung an, mein Kind vor dem Tod zu schützen. So wie ich eine*n Freund*in davon abhalten würde, vor ein Fahrzeug zu rennen, würde ich das auch genau so bei meinem Kind tun. Natürlich ist die Situation bei Kleinkindern eine besondere: Sie lernen erst, was Fahrzeuge sind, und dass sie sehr gefährlich sein können. Die Erklärung dessen ist auch keine Erziehung. Erziehung wäre es, wenn geschimpft statt erklärt wird, wenn unzureichend erklärt wird („Das macht man nicht. Das gehört sich so.“), wenn die Grenze des Kindes überschritten wird, indem es dazu gezwungen wird, einen die ganze Zeit an der Hand zu halten bzw. direkt neben einem zu laufen, wenn es für ein gedankenloses Auf-die-Straße-zulaufen geschimpft wird usw. Das sind unauthentische Grenzen und Konsequenzen, die ein Kind noch viel mehr einschränken, als es Fahrzeuge und Straßen ohnehin schon tun.

Eine Grenze, die im jetzigen Augenblick authentisch und wichtig ist, muss dies jedoch nicht bleiben. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir unsere Grenzen immer wieder hinterfragen, da sie zwar manchmal durchaus authentisch sind, aber dennoch das Leben anderer stark einschränken oder andere belasten. Ein etwas überzeichnetes Beispiel: Wenn ein Elternteil extrem empfindlich bezüglich Lärm, Unordnung und/oder Dreck ist, dann schränkt das ein Kinderleben sehr stark ein und ein Kind kann sich nicht mehr frei entfalten und kann sich nicht zu Hause fühlen, wenn es den ganzen Tag leise sein soll und nicht richtig spielen kann, weil es keine Unordnung produzieren darf. Also ist es wichtig, da eine Lösung zu finden. In dem Fall kann die Lösung teilweise aber nur darin liegen, dass das Elternteil einen entspannteren Umgang mit Lärm etc. findet. Es gibt zwar auch andere Kompromissmöglichkeiten, wie z. B., dass das Kind sich wenigstens in seinem/einem Zimmer frei entfalten kann, aber da es sich schließlich auch überall wohlfühlen soll, bringen diese Regeln nur bedingt Erleichterung. Für mich ist das klar, dass Erwachsene da die Aufgabe haben, ihre Grenzen zu hinterfragen, da dies gerade für jüngere Kinder noch nicht so leicht möglich ist, und gerade für Eltern ist dies eine Aufgabe, da sie den Entschluss gefasst haben, das Kind zu bekommen bzw. nicht wegzugeben. Damit tragen sie Verantwortung für das Wohl des Kindes, und diese Verantwortung beinhaltet die Reflexion des eigenen Verhaltens. Wenn ein Kind älter wird, kann man es natürlich auch durchaus dazu einladen, eigene Grenzen zu hinterfragen, so wie man das auch bei Freund*innen kann.

Was ist nun der Unterschied zu antiautoritärer Erziehung? Bei dieser werden zwar keine Vorgaben gemacht, aber (in der strikten Form) auch keine authentischen Grenzen kommuniziert. Weil es sich eben um Erziehung handelt, sich Erwachsene also ausgedacht haben, was für Kinder das Beste sein könnte, und sich nun künstlich-unauthentisch verhalten, um das Erziehungsziel zu erreichen, werden die Kinder wieder in eine Richtung gedrängt. Der respektvolle Umgang mit authentischen Grenzen wird nicht vorgelebt. Zumindest was die Definition angeht. Bezüglich des tatsächlichen Alltags wurde das nicht immer so streng gelebt, und ich habe den Eindruck, dass manche mit ihrer Auslegung der antiautoritären Erziehung dem Unerzogen-Konzept durchaus sehr nahe waren. Was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass die Grundannahme eine andere ist als bei den meisten anderen Erziehungsformen. Es wird bei antiautoritärer Erziehung davon ausgegangen, dass Kinder so, wie sie sind, richtig sind, und sie werden in ihrer Entfaltung und Wissbegierde nicht eingeschränkt.

Unerzogen wird häufig auch mit Vernachlässigung gleichgesetzt, weil Erziehung als Grundrecht wahrgenommen wird. Doch wenn man sich tatsächliche Fälle von Vernachlässigung einmal ansieht, stellt man fest, dass da meist sogar sehr massiv erzogen wird. Mit den Kindern wird sich zwar kaum beschäftigt, aber wenn doch, dann werden Befehle erteilt, es wird geschimpft, und oft wird der Wille auch mit körperlicher Gewalt durchgesetzt. Wohingegen hinter Unerzogen, wie oben beschrieben, viel Mühe steht. Wobei ich denke, dass wir, die selbst erzogen wurden und oft nicht so recht wissen, wo unsere authentischen Grenzen eigentlich liegen und wie wir sie verteidigen können, ohne die Grenzen anderer zu überschreiten, dass wir es erst einmal am schwierigsten haben. Für unsere Kinder wird Unerzogen viel intuitiver sein, und somit haben sie dann nicht ganz so viel Arbeit.

Ich habe den Eindruck, das Konzept „Unerzogen“ ist leichter anhand von Beispielen verständlich, weswegen ich einmal ein paar Fragen bzw. Aussagen aufgreifen möchte, um daran deutlich zu machen, was Nicht-Erziehen und Erziehen jeweils bedeutet. Die Fragen/Aussagen sind aus Internet-Diskussionen.

„Hat es nicht auch was mit Respekt anderen gegenüber zu tun, wenn ich meinem Kind ‚Nein‘ sage, wenn es während der Hochzeitsrede eines Bräutigams weiter laut krakeelend durch den Saal tobt?“

Grundsätzlich finde ich es schade, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sehr wenig auf die Bedürfnisse von Heranwachsenden eingeht und ihnen permanent abverlangt, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu benehmen. Damit wird auch ein enormer Druck auf Eltern ausgeübt. Nun, wenn ich mich mit meinem Kind in einer solchen oder ähnlichen Situation wiederfinden würde, würde ich zunächst schauen, ob es denn wirklich jemanden stört. Je nach Anzahl der Menschen, ist das natürlich nicht immer so leicht feststellbar, aber ich denke, meistens spürt man das doch ganz gut, welche Emotionen einem entgegen schlagen, ob die Mitmenschen amüsiert sind, ob sie es vielleicht kaum wahrnehmen oder ob sie sich dadurch gestört fühlen. Oft habe ich aber festgestellt, dass ich mir übertriebene Sorgen gemacht habe.

Wenn dem aber nicht so ist und es tatsächlich Menschen stört, dass mein Kind Kind ist, würde ich schauen, wie die Situation so lösbar ist, dass alle zufrieden sind, inklusive meinem Kind. Ich sehe keinen Grund dafür, die Bedürfnisse meines Kindes hinter die Bedürfnisse anderer Menschen zu stellen und meinem Kind einfach „Nein, du darfst das nicht“ zu sagen. Je nach Alter kann man mit dem eigenen Kind kommunizieren und die Situation erklären, und in jedem Alter kann man schauen, welche Bedürfnisse hinter dem Verhalten liegen, und Alternativen bieten. Vielleicht ist mein Sohn laut, weil ihm langweilig ist. Dann kann ich ihm verschiedene Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Vielleicht ist er laut, weil er eigentlich schon ziemlich müde und überreizt ist. Dann kann ich ihm Möglichkeiten geben, zur Ruhe zu kommen, vielleicht in einem anderen Raum, in der Trage, im Kinderwagen oder auf meinem Schoss. Vielleicht möchte er aber auch tatsächlich gerade einfach mit seinen Stimmbändern herumexperimentieren. Dann werde ich ihn bitten, das in einem anderen Raum bzw. draußen zu tun, und sollte er noch sehr jung sein, gehe ich mit ihm zusammen raus. Würde ich ihm einfach nur „Nein“ sagen, würde ich seine Langeweile oder seine Müdigkeit oder seine Neugierde und Lebensenergie unterdrücken. Dabei habe ich ihn überhaupt erst in die Situation gebracht, in der er sich nicht frei entfalten kann. Er kann nichts dafür, dass ich zu dieser Hochzeit gehen wollte, er kann nichts dafür, dass der Bräutigam eine Rede halten möchte, und er kann nichts dafür, wenn die Gesellschaft eine nicht sehr kinderfreundliche ist. Somit ist auch das Verlassen der Veranstaltung eine Option, wenn nichts hilft.

Nun geht es dabei aber ja auch oft darum, dass Kinder für die Zukunft lernen sollen, in gewissen Situationen ruhig zu sein. Ich vertraue jedoch darauf, dass mein Kind das mit dem Alter ohnehin lernen wird. Ich vertraue darauf, dass Menschen kooperative und empathische Wesen sind, die durch Beobachtung lernen. Ich lebe meinem Sohn vor, dass ich in gewissen Situation, in denen es wichtig ist, ruhig bin, genauso wie die meisten Menschen um uns herum ihm das vorleben. Ich gehe nicht davon aus, dass er mit 30 Jahren auf einer Hochzeit krakeelend durch den Saal toben wird, weil ich ihm, als er drei war, nicht „Nein, das darfst du nicht!“ gesagt habe. Ich gehe davon aus, dass es normales kindliches Verhalten ist, das für ein Bedürfnis steht, aber dass Heranwachsende mit der Zeit lernen, ihre Bedürfnisse auch anders zu äußern. Ich gehe davon aus, dass es ausreicht, wenn ich mit zunehmenden Alter erkläre, warum was wann wem wichtig ist, wenn ich ihm Alternativen biete und wenn ich ihm entsprechendes Verhalten vorlebe. Sollte er dennoch später seine Probleme damit haben, in gewissen Situationen ruhig zu sein, vertraue ich darauf, dass er solche Situationen dann meiden wird, da sie ihm wahrscheinlich eher wenig Freude bereiten werden.

„Ich finde, ein Kind kann durchaus während des Essens mit seinem Hintern mal sitzen bleiben. Das machen sie nicht von allein, klar, das ist Erziehung.“

Ich würde sagen, dass bei dieser Aussage eine nicht sehr respektvolle Haltung gegenüber Kindern durchscheint. Es scheint davon ausgegangen zu werden, dass Kinder aus einer bösen Absicht heraus nicht ruhig während des Essens am Tisch sitzen. Dabei steht, wie gesagt, immer ein Bedürfnis dahinter. Ich persönlich verlange nicht von meinem Kind, dass es beim Essen still am Tisch sitzt, genau so wenig, wie ich das von anderen Menschen verlange. Bzw. kann ich es nicht verlangen, ich habe kein Recht dazu. Mehr zu dem Thema:

„Wenn der Kleine während dem Essen aufspringt und spielt, will die Große auch nicht mehr, und dann haben beide schlussendlich fast nichts gegessen und nach zwei Stunden wieder Hunger.“

Dann ist das so, und dann haben sie nach zwei Stunden wieder Hunger. Wenn sie das stört, werden sie mit der Zeit daraus lernen und am Tisch bleiben, bis sie satt sind. Diese selbstgemachte Erfahrung ist letztlich viel stärker und langanhaltender als ein von den Eltern erzwungenes Verhalten. Vielleicht können oder wollen sie aber auch einfach nicht mehr essen, und sie dann unter solchen Umständen dazu zu zwingen, entweder mehr zu essen oder gelangweilt am Tisch zu sitzen, halte ich für sehr problematisch. Ich denke, dass solche Zwänge ein ungesundes Essverhalten fördern. Die meisten Kinder essen ohnehin lieber in kleinen Portionen. Teilweise liegt das wahrscheinlich an dem erst langsam wachsenden Magenvolumen, teilweise liegt es aber auch an ihrer Begeisterung für andere Dinge. Manche Menschen essen ihr Leben lang lieber in mehreren kleineren Portionen. Manchmal essen Kinder phasenweise auch sehr wenig, aber wenn ein Wachstumsschub bevorsteht, essen sie wieder sehr viel. Ich vertraue meinem Kind und seinem Körper, ich vertraue darauf, dass es weiß, wie viel Essen es braucht bzw. dies schnell durch Erfahrung lernen wird. Ich vertraue darauf, dass sein Selbsterhaltungstrieb ausgeprägt ist. Sollte mein Kind tatsächlich zu wenig essen, gibt es zwanglose Möglichkeiten, damit umzugehen. Ich kann mich fragen, womit das zusammenhängt, z. B. mit Stress vielleicht, ich kann schauen, was meinem Sohn schmeckt. Wenn es eine ganze Weile lang ein und dasselbe Gericht ist, ist das auch nicht schlimm. Und ich kann selbst ein (möglichst) gesundes Essverhalten vorleben.

Oft steckt ja eigentlich einfach unser persönlicher Wunsch hinter einem Gebot oder Verbot, wobei wir das gerne verschleiern, indem wir darüber sprechen, dass all diese Dinge für das Kind und seine Zukunft seien. Unsere Kinder können mit diesen komplexeren Konzepten von „Benimm“ oder „Zukunft“ noch nicht sehr viel anfangen, sie können uns besser verstehen, wenn wir authentisch sind und bei uns bleiben. Wenn ich nicht möchte, dass z. B. Essen in der ganzen Wohnung verteilt wird, weil ich mein Leben nicht putzend verbringen will, dann ist das ein völlig verständlicher Wunsch bzw. eine persönliche Grenze. Und genau das kann ich dem Kind auch kommunizieren. Nicht „Du darfst das nicht“, sondern „Ich möchte nicht so viel putzen, und deswegen möchte ich nicht, dass Essen überall in der Wohnung verteilt wird.“ Dann können wir gemeinsam schauen, welche Lösungsmöglichkeiten es gibt. Ich handhabe das mit meinem Kleinkind so, dass es am Tisch so viel rummatschen und spielen kann, wie es mag, weil das ja schließlich eine Lernerfahrung ist. Im Rest der Wohnung möchte ich jedoch, dass mein Sohn nur Dinge isst, die (relativ) sauber essbar sind, oder sich von mir füttern lässt. Wenn er aber doch das Bedürfnis hat, mit dem Essen zu spielen, setze ich ihn einfach in seinen Hochstuhl. Wir fahren sehr gut und größtenteils ohne Stress damit. Später wird mein Sohn immer weniger Chaos beim Essen produzieren, bzw. vertraue ich auch hier wieder darauf, dass das Matschen mit dem Essen mit der Zeit uninteressanter wird, vor allem, wenn er es früh ausleben kann, und er sich immer mehr daran orientieren wird, wie die Menschen um ihn herum essen. Er tut es ja schon, seitdem er mit am Tisch isst: Er musste nie Besteck benutzen, aber er wollte das ziemlich von Anfang an, weil er sich das bei den anderen Menschen am Tisch abgeguckt hat. Und so sitzt er da und übt den Umgang mit Löffel und Gabel, obwohl er mit den Händen schon längst mehr hätte essen können. Wenn er einen Löffel hat, andere aber mit der Gabel essen, dann möchte er oft auch eine Gabel haben. Ich bin begeistert davon, und es bestätigt mich in meinem Vertrauen in ihn.

„Im wahren Leben kann man auch nicht immer das tun und lassen, was man will. Also kann man seinen Kindern durchaus beibringen, dass es Regeln gibt. Weil die gibt es nun mal, wenn nicht im Elternhaus, dann spätestens in der Schule oder am Arbeitsplatz.“

Ja, es gibt immer Regeln, die aus persönlichen Grenzen resultieren, und häufig künstlich-unauthentische Regeln. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass mein Kind mit 15 oder 20 Jahren die Regeln eines Arbeitsplatzes nicht verstehen und annehmen wird, nur weil ich ihm jetzt nicht die gleichen Regeln aufzwinge. Ich habe meine Grenzen und vermittle sie, genauso wie ich die Grenzen anderer Menschen, Lebewesen usw. vermittle, wenn nötig. Und dadurch wird er lernen, dass es viele, teilweise sehr unterschiedliche Grenzen gibt, und ich bin zuversichtlich, dass er dadurch auch die individuellen Grenzen verschiedener Menschen respektieren können wird. Nur die künstlich-unauthentischen Grenzen und Regeln wird er wahrscheinlich manchmal nicht annehmen, so wie ich sie auch manchmal nicht annehme, da sie meine Grenzen überschreiten. (Die Regeln an der Schule sind wiederum ein Thema für sich, da Schule in Deutschland meines Wissens die einzige Institution ist, in der über einen langen Zeitraum hinweg verweilt werden muss, ohne vorher eine Straftat begangen zu haben oder für sich und seine Mitwelt gefährlich zu sein.)

Ich hoffe, dass dies einen Überblick gibt über das, was Unerzogen ist und nicht ist. Es gibt sehr viel Online- und Offline-Literatur zu dem Thema, aber da ich mich selbst da noch hindurchkämpfe und schaue, was ich für wirklich empfehlenswert halte und was nicht, werde ich zu späterer Zeit Tipps geben. Die nicht-erziehenden Leser*innen können mir und anderen Leser*innen sehr gerne Tipps im Kommentarfeld geben! :)

P.S.: Ursprünglich wollte ich in diesem Post auch auf die Unterschiede zwischen sogenannter permissiver bzw. Laissez-Faire-Erziehung und Unerzogen eingehen, aber bei meiner Recherche zu diesen Schlagwörtern und meiner Diskussion mit anderen, habe ich festgestellt, dass das Thema einen eigenen Post verdient.

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